Erinnerungen an Johannes Nittinger zu dessen 100. Geburtstag

Professor Dr.-Ing. habil. Dr. h. c. Johannes Nittinger war „eine Ikone des deutschen Vermessungs- und Geoinformationswesens des 20. Jahrhunderts“ schrieb Gottfried Konecny 2003. Johannes Nittinger starb 2003 im hohen Alter von 96 Jahren.

Viele „jüngere Semester“ lernten Professor Nittinger wohl zuerst an der Technischen Hochschule in Hannover kennen, bei seiner Vorlesung „Behördliches Vermessungswesen“ und bei den vom ihm initiierten und von der Verwaltung begleiteten Schlußübungen zur Grundstücksneuvermessung und zur Netzverdichtung. Die Vorlesung war bei den doch vorrangig „technikinteressierten“ Studenten weniger beliebt (Verwaltungskunst war für sie so sehr fern), die Schlußübungen waren es umso mehr (Nittinger „kam an“). 

Geboren am 7.10.1906 in Linz am Rhein hatte der Rheinländer in Niedersächsischen Diensten die große Gabe, Menschen zu faszinieren und mitzunehmen, um die Sache des Kataster- und Vermessungswesens seiner Zeit voranzubringen. „Nittinger ist ein Schauspieler“ sagte einmal Professor Werner Engelbert, Dezernent bei der Bezirksregierung  Hannover. Und er charakterisierte damit die Kunst des Chefs der Niedersächsischen Kataster- und Vermessungsverwaltung, nicht nur bei Fachleuten, sondern auch bei Politikern die Besonderheiten einer sonst eher unanschaulichen Fachverwaltung zur Geltung zu bringen, beim Minister und ebenso bei den zuständigen Abgeordneten. Besonders die Pflege des Nachwuchses lag ihm nicht nur über seine Honorarprofessur an der TH und später TU Hannover am Herzen. Er sorgte dafür, daß regelmäßig junge Assessoren an die Hochschule abgeordnet wurden, so auch den Verfasser dieser Zeilen 1967 bis 1971. Die jungen Nachwuchskräfte sollten als Assistenten Erfahrungen in der Ausbildung der Studenten sammeln, Führungsqualitäten entwickeln und mit der zusätzlich (sprich „nebenher“) zu erarbeitenden Promotion den akademischen Status der Kataster und Vermessungsverwaltung stärken. Nittinger war einst selbst diesen Weg gegangen.

Johannes Nittinger liebäugelt nach eigenem Bekunden tatsächlich zunächst mit einem Berufsweg in der bildenden Kunst, wollte Schauspieler werden. Später schrieb er einmal, daß er auch im Vermessungsberuf „Elemente finden konnte, die es im Theaterfach auch gibt. Ich wurde schon zu früher Zeit ein Regisseur ... hatte es in meinem Beruf mit guten und schlechten Schauspielern und vor allem Regisseuren zu tun“. Er studierte Vermessungswesen in Bonn mit der Abschlußprüfung 1930, trat nach der 2.Staatsprüfung 1933 in die Preußische Katasterverwaltung, wurde abgeordnet an die Uni Bonn, wo er promoviert wurde und sich habilitierte. Stationen seiner Praxis waren ab 1939 die Leitung der Vermessungen der Salzgitterwerke im Neumessungsamt in Wolfenbüttel mit einem weit ausgedehnten Berufsfeld, nach dem Kriege Referent und dann Leiter der Niedersächsischen Kataster- und Vermessungsverwaltung 1952 bis 1971, 1952 bis 1958 in Personalunion auch Leiter des Landesvermessungsamtes. 1955 folgte die Honorarprofessur an der TH Hannover, 1960 bis 1971 zugleich der Vorsitz in der AdV (der Arbeitsgemeinschaft der Vermessungsverwaltungen der Länder). In Zusammenarbeit mit den Ländern Dänemark, Niederlande und Belgien sorgte er 1967 bis 1971 für die Errichtung des Nordwesteuropäischen Flachlandnivellements (NWELL) als Basis zur Untersuchung der Küstensenkung. 

Nach der  Pensionierung 1971 widmete sich Nittinger verstärkt dem Einsatz für den Technologietransfer im Vermessungswesen in die Entwicklungsländer mit besonderem Schwerpunkt in Costa Rica -  Initiativen, die 1975 in die Gründung der BEV, der Beratergruppe für Entwicklungszusammenarbeit im Vermessungs- und Geoinformationswesen mündete. In diesem Rahmen hat er unermüdlich für das Katasterwesen in den Entwicklungsländern geworben. 

In seiner bereits oben angedeuteten kulturellen Vorliebe wurzelte auch ein lebhaftes Interesse für Persönlichkeiten und Prosa, die die Geodäsie mit der Belletristik und mit den Medien verknüpften. So schrieb und titelte er 1992 bis 1994 drei sehr lesenswerte kleine Bände, die der Bund der Öffentlichen Vermessungsingenieure verlegt hat. Darin sind u.a. auch die schon geflügelten Worte zu finden. „Was ist eigentlich ein Geodät? Gehört dieser zu einer Sekte?“  - die Frage einer wißbegierigen Dame in Bremen 1960 bei dem damaligen Geodätentag. 

Zum Festkolloquium der Universität Hannover zum 90. Geburtstag von Johannes Nittinger kamen noch einmal zahlreiche Weggenossen. Den Festvortrag hielt Prof. Dr. mult. Günter Hake, die Reihe der Festredner und Grußworte (G. Konecny, F. Lehmann, W. Torge, H. Pelzer, H.-P. Bähr, H.Vetter, D. Hobbie, W. Kirchner) beschloß Dr.-Ing. Wilhelm Kühnhausen mit gekonnten Versen „… Ich geh’ wohl einig mit Euch allen: Sein Werk hat ungemein gefallen …“ Wir erlebten in den Schlußworten des Jubilars eine unverändert agile engagierte große Persönlichkeit des deutschen Vermessungswesens, die sich schließlich bei dem großen Auditorium selbst mit einigen launigen Versen bedankte. Noch Jahre danach schrieb er in persönlichen Briefen mit unverändert fester Handschrift. Wer Prof. Johannes Nittinger so lange persönlich kannte, denkt gerne und mit Hochachtung an dessen Werk und Persönlichkeit zurück. 


Literaturauswahl (mit weiteren Hinweisen): Wolfgang Torge: Johannes Nittinger 90 Jahre, Zeitschrift für Vermessungswesen ZfV 1996 S. 606-607, Gottfried Konecny: Prof. Nittinger im Alter von 96 Jahren verstorben, ZfV Zs für Geodäsie, Geoinformation und Landmanagement 2003 S. 228.