Meilensteine im Instrumentenbau - Symposium

Der Förderkreis Vermessungstechnisches Museum hatte für Montag, 10. Februar 2014 zum 12. Dortmunder Symposium zur Vermessungsgeschichte in die Rotunde Museums für Kunst und Kulturgeschichte eingeladen.

Zusammen mit der traditionellen Begrüßung durch Museumsdirektor Wolfgang E. Weick konnte der Präsident des Förderkreises, Prof. Dr.-Ing. Harald Lucht aus Bremen  weitgereiste Vortragende begrüßen. – Das von Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. mult. Erich Weiß von der Universität Bonn von langer Hand vorbereitete Symposium stand unter dem Leitthema „Meilensteine Geodätischen Instrumenten- und Gerätebaus“ und fand eine erfreulich große und hochinteressierte Besucherschar. Prof. Dr.-Ing. Bertold Witte, Universität Bonn übernahm die Vorstellung der Vortragenden und die weitere Moderation. In fünf Vorträgen international bekannter Referenten wurde das Entstehen und Werden des geodätischen Instrumentenbaus im deutschen Sprachraum beleuchtet.

Prof. Dr. Klaus Schnädelbach aus München wies bereits im Eröffnungsvortrag darauf hin, daß der Schwerpunkt beim Bau wissenschaftlicher Instrumente bis weit ins 18. Jahrhundert in England und Frankreich gelegen habe. Die Navigation von Schiffen verlangte nach Instrumenten für die Positionsbestimmung auf See. Die großen französischen Gradmessungsoperationen zur Bestimmung der Gestalt der Erde benötigten eine hochpräzise Winkelmessung. In Deutschland gründeten um 1737 Georg Friedrich Brander (1713 - 1783) in Augsburg und 1762 Johann Christian Breithaupt (1736 - 1800) in Kassel zwei feinmechanisch-optische Werkstätten.

Klaus Schnädelbach führte die Zuhörer dann durch die weiteren Entwicklungen im süddeutschen Raum. Brander gelang der Bau des ersten Spiegelteleskops in Deutschland und schon 1758 eine erste Kreisteilmaschine. - 1802/04 entstand das "Mathematisch-mechanische Institut von Reichenbach, Utzschneider und Liebherr (ab 1819 in München), Georg von Reichenbach übergab im Jahr 1821 seine Anteile an diesem Institut an Traugott Ertel. Joseph von Fraunhofer (1787-1826) trat hinzu und erwarb sich große Verdienste in der Entwicklung der praktischen Optik. –  Abschließend hob Klaus Schnädelbach hervor: Die drei Männer der Gründungszeit waren sehr verschieden, Reichenbach, „der Mann der That, der Erfindung und Erfahrung", Fraunhofer  „der Mann der stillen Forschung und unermüdlichen Arbeit"  und „gewiß ganz frei von Charlatanerie und Prahlerei" und Utzschneider, „der findige Geschäftsmann".

Nach diesem ersten von fünf Vorträgen hatte der Förderkreis die große Freude, Herrn Professor Dr.-Ing. Wolfgang Torge von der Universität Hannover den Eratosthenes-Ehrenpreis zu verleihen. – Siehe hierzu den besonderen Bericht in unserer Mitt. Nr. 507.

Nach einer Kaffeepause entwickelte Hans-Friedrich Breithaupt in einem großen Bogen einen Überblick zu den Firmen Breithaupt und Fennel unter dem Leitgedanken Instrumentenhersteller aus Kassel mit Weltgeltung. Kassel war über Jahrhunderte Residenzstadt, Wilhelm IV (Mitte 16. Jh. erster Landgraf und Begründer der Linie Hessen-Kassel – Schüler von Rumhold Mercator, Sohn von Gerhard Mercator) ließ schon um 1560 eine erste europäische Sternwarte in Kassel erbauen – letztlich Hintergrund der Entstehung der Firma Breithaupt, die der Vortragende nunmehr in der 8. Generation (!) führt. Firmengründer war Johann Christian Breithaupt (1736-1799). In der zweiten Generation wirkten Heinrich Carl Wilhelm Breithaupt (1775-1856) und Friedrich Wilhelm Breithaupt (1780-1855). Die Gebrüder waren führend mit ihren Entwicklungen von Instrumenten für das Markscheidewesen, der Weiterentwicklung von Theodoliten und Nivellieren und der Herstellung von Sonderinstrumenten wie z. B. dem Heliotropen für C. F. Gauß –  Instrumentenbauer galten damals als Künstler. Otto Fennel (1826-1891) machte sich nach Ausbildungs- und Gesellenzeit bei Breithaupt selbständig und gründete eine eigene Firma. – Aus dem reichhaltigen Instrumenten-Programm von sei hier nur an den  Hammer-Fennel-Diagrammtachymeter und an das den Prof. Dr. Zetsche entwickelte DIGIGON erinnert, ein erster Digitaltheodolit, präsentiert beim Geodätentag1965.

Prof. Dr.-Ing. Dierk Hobbie aus Königsbronn beleuchtete das Wirken der Firma Zeiss bis zur Vereinigung mit Trimple. –  Die Gründung der ersten feinmechanischen Werkstätte war bereits 1846 erfolgt. Damals wirkten Carl Zeiss als Mechanikus, Ernst Abbe als physikalisch ausgebildeter Jenaer Privatdozent seit 1866, Otto Schott als Experte für optische Gläser seit 1879 und Carl Pulfrich ab 1892 für die neue Abteilung für optische Messgeräte.

Erst 1904 begann sich die Fa. ZEISS  für geodätische Instrumente zu interessieren. Die Geschäftsleitung von Zeiss stimmte dann 1908 der "Übersiedlung des Ing. Heinrich Wild zwecks Vorbereitung einer Fabrikation geodätischer Instrumente" zu. Dierk Hobbie schilderte den beginnenden Ausbau geodätischer und photogrammetrischer Instrumente in Jena bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Als die US-Armee die von ihnen besetzten Gebiete im Tausch gegen ihren Sektor in Berlin räumen mussten, nahmen sie die Zeissianer am 25. Juni 1945 mit Armeelastwagen mit in den Westen. In Oberkochen fand sich für die Evakuierten eine neue Heimstatt in der leer stehenden Fabrik für Messerschmidt-Flugzeugfahrwerke. Bis zur Wiedervereinigung wurden sowohl in Jena wie in Oberkochen hochgenaue ZEISS-Instrumente entwickelt und gebaut. Auf Grund ihres konkurrenzlosen Preises waren Vermessungsgeräte des VEB Zeiss-Jena auch im Westen sehr begehrt. Sie waren Mitte der 1970er Jahre mit einem Anteil von 21 % der größte Devisenbringer der DDR. Auch ZEISS-Oberkochen entwickelte Instrumente hoher Qualität, erinnert sei hier nur an das automatisch horizontierende ZEISS NI 2 (bereits 1950). Die aus unmittelbar eigenem Erleben und Gestalten von Dierk Hobbie dargestellten Jahre der Wiedervereinigung beider ZEISS-Firmen und schließlich das Zusammengehen mit Trimble ab 2000 rundeten diesen hochinteressanten Vortrag ab.

Während einer Mittagspause war Gelegenheit zu fachlichen und persönlichen Gesprächen. Am Nachmittag gab zunächst Prof. Dr.-Ing. Hilmar Ingensand aus Zürich einen Überblick zu den Entwicklungen der Schweizer Firmen Kern, Wild und Leica. Auch in der Schweiz waren bereits seit dem 16. Jahrhundert Manufakturen für wissenschaftliche Instrumente bekannt. Einen ersten Theodoliten baute Jaques Paul (1733-1796) in Genf nach französischen Vorbildern. Jacob Kern (1790-1867) gründete 1819 die erste Firma für geodätische Instrumente –  nach seinen Lehr- und Wanderjahren in Frankreich und Deutschland, u. a. auch bei Reichenbach und Fraunhofer. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatten die Firmen Kern in Aarau und Wild ab 1921 in Heerbrugg eine führende Rolle im weltweiten geodätischen Instru­mentenbau. Mit der Gründung der Firma Wild im Jahre 1921 konnte Heinrich Wild mit dem Theodoliten T2 an die Entwicklung des von ihm bei Zeiss entwickelten Th2 anknüpfen. 1927 wurde in der Schweizer Grundbuchvermessung die "Polarkoordinatenmethode mit optischer Distanzmessung mittels reduzierenden Doppelbild-Tachymetern" zur Standardmethode – mit Instrumenten von Kern und Wild.1931 verließ Heinrich Wild Heerbrugg. Ab 1936 brachte er seine Ideen bei Kern in Aarau ein, wo er als freier Mitarbeiter arbeitete. Durch seinen Einfluss entstand u.a. die berühmte DK-Baureihe.

Hilmar Ingensand umriss dann ausführlich die Instrumentenentwicklungen im Elektronik- und Informatikzeitalter ab 1960. Mit dem NA2000 Digitalnivellier, welches auf einer bei Wild 1984 patentierten Technologie basierte, war Leica 1990 der weltweit erste Serienhersteller mit diesem neuen Instrumenten­-Typ. Inzwischen ist bekannt, daß das erste Digitalnivellier der Welt bereits 1984 als Funktionsmuster an der TU Dresden zusammen mit Zeiss-Jena gebaut worden war. –   In einer Schlussbetrachtung zeigte der Vortragende die weiteren Entwicklungen der Firmen Kern, Wild und Leica, Zitat: „Einer der grössten Veränderungen für den Vermessungsbereich war sicherlich die Übernahme der Firma Kern durch Wild“ (1988).

Im 2. Nachmittagsvortrag wusste Apl.-Prof. Dr.-Ing. Hansbert Heister die Zuhörer mit seinem Vortrag zur Entwicklung des Vermessungskreisels zu fesseln. Dessen Fähigkeit der autonomen Richtungsbestimmung als nordsuchender Kreisels liegt  im Tunnel- und Bergbau, d. h. überall dort, wo die traditionellen Verfahren – auch das GPS – versagen. Die grundlegenden physikalischen Erkenntnisse über die Kreiselbewegung gehen vorrangig auf den französischen Physiker Jean Bernard Léon Foucault (1819 bis 1868) zurück. Geeigneter Elektromotoren waren Wegbereiter für weitere Förderer wie Hermann Anschütz-Kämpfe (1872 – 1931) und Max Schuler (1882 –1972), der wesentliche theoretische Grundlagen erarbeitete. Mit seiner Hilfe konnte dann im Jahre 1907 ein erster schiffstauglicher Kreiselkompass gefertigt werden. Schuler trat 1914 in die Geschäftsleitung bei der Fa. Anschütz & Co. ein und wurde Initiator zahlreicher Erfindungen. Der Markscheider Professor K. Haußmann (1860 –1940) regte 1914 den Bau eines Vermessungskreisels an – vor 100 Jahren. Hansbert Heister schilderte die weitere Entwicklung von den ersten noch außerordentlich voluminösen und schweren Prototypen in der Zeit zwischen den Weltkriegen hin zu den immer weiter verfeinerten Instrumenten.

Wesentliche Fortschritte brachten die Arbeiten der Westfälischen Berggewerkschaftskasse (WBK) und die instrumentellen Entwicklungen in einer Kooperationsgemeinschaft mit dem Institut für Markscheidewesen der Bergakademie Clausthal (Prof. Rellensmann). Die Vermessungskreisel der neuesten Generation haben einen hohen Automatisierungsgrad erreicht. Heute wird mit dem Präzisions-Vermessungskreisel Gyromat 5000 in wenigen Minuten Messzeit eine Richtungsgenauikeit von um 1 mgon erreicht. Ein kurzer  Überblick zu ausländischen Entwicklungen rundete auch diesen hochinteressanten Beitrag ab. 

Der Präsident des Förderkreises Harald Lucht dankte daher abschließend den Vortragenden für ihre gelungenen Präsentationen, Bertold Witte für die einfühlsame Moderation und Erich Weiß für die gesamte Organisation. Die hervorragend vorgetragenen Beiträge  trugen ebenso zum Gelingen des 12. Symposiums für Vermessungsgeschichte bei, wie die in jedem Vortrag gezeigten Übersichts- und Instrumentenfotos: Die fünf Vorträge zur Entwicklung bekannter Firmen des geodätischen Instrumenten- und Gerätebaus hatten gezeigt, wie stets in ähnlicher Weise historische Fortschritte von Persönlichkeiten mit Forscher- und Unternehmergeist befördert worden waren, in einander befruchtenden Kooperationsprozessen und realisiert von Instrumentenbauern, die einst Präzisions-Instrumente wie Kunstwerke erschufen, heute Instrumente und Geräte von höchster Genauigkeit und technischer wie elektronischer Qualität. Wir dürfen uns auf den Dokumentationsband zum 12. Symposium für Vermessungsgeschichte in Dortmund freuen.