Vor 200 Jahren ging F. W. Bessel in die Wissenschaft

Friedrich Wilhelm Bessel wurde in Minden als vorletztes unter neun Kindern am 22. 7. 1784 geboren. Aus seiner Schulzeit ist sein Spruch überliefert "Wär’ in der Welt nur kein Latein, so könnt ich froh und glücklich sein". Bessel sagte später einmal, er habe eigentlich nie das Lernen gelernt, jedoch ich "folgte allein meinem Vergnügen, und dieses bestand in der Einsammlung von Früchten": Motivation als Quelle allen Strebens.

Bessel hat in seinem langen wissenschaftlichen Wirken in Königsberg (1810 bis zu seinem Tode 1846) als Astronom, Geodät und Mathematiker Bahnbrechendes geleistet. In der Geodäsie sind u.a. seine „Ostpreußische Gradmessung“ (1830-38), der Bessel'schen Basisapparat und die 1841 durchgeführte Berechnung des „Bessel'schen Erdellipsoids“ von nachhaltiger Bedeutung. –

Am Anfang stand eine Lehre als Handlungsgehilfe. 1798 gelang es seinem Vater, in Bremen für Friedrich Wilhelm eine Lehrstelle in dem angesehenen Bremer Handelshaus A. G. Kulenkamp & Söhne zu erhalten, die er am 1.1.1799 antrat. Sieben Jahre lang hat er unentgeltlich – bei freier Kost und Logis – im Handelscomptoir gelernt. Ein 14jähriger Junge, aus der Beamtenstadt Minden kommend, erhielt so im weltoffenen Bremen und insbesondere auch in dem international tätigen Handelshaus eine Fülle von neuen Eindrücken. Man denke an die Schilderungen in den ‚Buddenbrooks’ von Th. Mann oder auch an ‚Soll und Haben' von G. Freytag. Sein Fleiß und sein überaus gutes Gedächtnis wurden alsbald geschätzt. Die Arbeitszeit betrug täglich 12 Stunden, von morgens 8.00 Uhr bis abends 8.00 Uhr. Nach Feierabend befaßte er sich mit Fremdsprachen, mit Fragen der Nautik, der geographischen Ortsbestimmung, denn "…mittellos wie ich war, erschien mir als einzige gute Aussicht in der Ferne der Versuch, mich in der Stellung des Cargadeurs einer Expedition tüchtig zu machen“, schreibt Bessel später einmal in seinen Lebenserinnerungen. Wie belegt ist, dehnten sich diese abendlichen Studienzeiten wohl oft bis nachts 2.00 und 3.00 Uhr aus – Bessel konnte schon in jungen Jahren mit relativ wenig Schlaf auskommen. Er besuchte daneben die 1799 in Bremen neu gegründete Navigationsschule. Und er fand Bekanntschaft mit einem jungen Mechaniker, mit dem zusammen er erste einfache astronomische Instrumente baute.

             Als erste wissenschaftliche Leistung von Bessel darf die Bahnberechnung aus Beobachtungen des Halley'schen Kometen gelten - Beobachtungen, die aus dem Jahre 1607 stammten, lange verschollen waren, 1793 in einem Familienarchiv gefunden und dann durch von Zach publiziert worden waren. Bessel stieß auf diese Daten und hatte außerdem das seinerzeit berühmte Werk des Bremer Arztes und Amateurastronomen Wilhelm Olbers "Abhandlungen über die leichteste und bequemste Methode, die Bahn eines Kometen zu berechnen" zur Hand. Mit seinen nur 19 Jahren und lediglich auf der Basis seines Selbststudiums berechnete er die Kometenbahn. "Als ich meine Arbeit über den Kometen von 1607 beendigt und sauber geschrieben zu Papier gebracht hatte, faßte ich mir ein Herz, schnitt Olbers, den ich eine Straße langsam hinabgehen sah, durch Betreten einer Nebenstraße ohne größerer Eile den Weg ab und bat ihn um die Erlaubnis, ihm einen geringen astronomischen Versuch, den ich gewagt hätte, vorlegen zu dürfen. Ich erhielt diese Erlaubnis, und Olbers erhielt dagegen eine Stunde später meine Abhandlung. Dies ereignete sich an einem Sonnabend, den 28. April 1804", schildert er in seinen Lebenserinnerungen.

Olbers war hocherfreut. Er sorgte selbst für deren Veröffentlichung. Zitat des Herausgebers von Zach aus der Einleitung des Fachaufsatzes in der Zeitschrift "Monatliche Korrespondenz zur Beförderung der Erd- und Himmelskunde": "Gegenwärtigen vortrefflichen Aufsatz erhielt ich durch meinen verehrungswürdigen Freund Dr. Olbers aus Bremen; er schrieb mir dazu folgendes: „Die Beilage, welche ich Ihnen hier schicke, gewährt mir die große Freude, Ihnen einen jungen Astronomen von ganz ausgezeichneten Anlagen bekanntzumachen; es ist Friedrich Wilhelm Bessel, ein noch sehr junger Mann, der sich hier in einem der ersten Handlungshäuser der Kaufmannschaft widmet. Schade, daß solche Talente nicht ganz für die Sternkunde benutzt werden sollen!...“ 

Nach Beendigung seiner siebenjährigen Lehrzeit bot ihm das Handelshaus einen sehr guten Kontrakt an, mit einem Jahresgehalt in der Größenordnung von 600 Talern. – Durch Einfluß von Olbers und Schröter ging Bessel jedoch 1806 an die Schroetersche Privatsternwarte nach Lilienthal bei Bremen –  mit nur 100 Talern Jahresgehalt, doch um sich nunmehr ausschließlich der Astronomie widmen zu können: Start in eine große wissenschaftliche Zukunft – vor 200 Jahren. Seit 1810 lehrte und forschte er in Königsberg bis zu seinem Tod 1846.

Im jetzt russischen Kaliningrad steht seit 1984 auf Initiative des Mathematikers K. Lawrynowicz der Kaliningrader Universität eine Gedenkplatte am Ort der von Bessel einst erbauten Sternwarte. Die Inschrift: Friedrich Wilhelm Bessel 1784-1846. Und zusätzlich in kyrillischer Schrift nach Namen und Daten in deutscher Übersetzung: "Hervorragender deutscher Astronom, Geodät und Mathematiker, Reformator der praktischen Astronomie, Ehrenmitglied der Petersburger Akademie der Wissenschaften. Von 1810 bis 1846 wohnte und arbeitete er in Königsberg" . Und seit 1989  gibt (wieder) eine Besselstraße. 

In Bremen hat man sich mehrfach des berühmten "Handlungsgehilfen" erinnert. Noch heute gibt es im Steintor die Besselstraße (Beschluß des Senats vom 29. Mai 1868). Und am 2. März 1990 (dem 150. Todestag von Olbers) wurde das Denkmal „Besselei“ des bekannten Künstlers Jürgen Goertz eingeweiht. Es steht in der Papenstraße unweit der Stelle, an der sich vor 200 Jahre das Handelshaus Kulenkamp befand.

Eine Schrifttafel erläutert: "Denkmal für den bedeutenden Astronomen und Geodäten Friedrich Wilhelm Bessel (1784-1846). F. W. Bessel arbeitete als Handlungsgehilfe in der Papenstraße 6 von 1799 bis 1806 und wirkte als Astronom bis 1810 an der Sternwarte in Lilienthal. Als Professor in Königsberg berechnete F. W. Bessel die genauen Dimensionen der Erde, beobachtete als erster eine Fixsternparallaxe und schuf damit die Grundlagen der Entfernungsbestimmung im Weltraum“.

Die  seit 2005 durchgeführten Stadtführungen ASTRO WALK führen zu diesem Denkmal (www.astro-walk.com).

(Literatur-Auswahl: Kasimir Lawrynowicz: Friedrich Wilhelm Bessel 1784-1846, Birkhäuser Verlag Basel-Boston—Berlin 1995; Harald Lucht: Bessel-Denkmal in Bremen, ZfV 1990 S. 450; Friedrich Wilhelm Bessel: Ich hab’ Euch lieb’, aber der Himmel ist mir näher – eine Autobiographie in Briefen, herausgegeben von der Stadt Minden und Edith Schlieper, Minden 1984; Bernhard Zimmermann: Kaliningrader Universität ehrt Königsberger Gelehrte, AVN/VT 1990 S. 401/51).