"Die Vermessung der Welt"

"Die Vermessung der Welt" von Daniel Kehlmann (vergl. unsere Mitt. Nr. 118) steht an erster Stelle der Bestseller-Liste, das Buch ist inzwischen in weit über 400.000 Exemplaren verkauft, die Auslandsrechte sind in fast 20 Länder vergeben, es erhielt den zweiten Platz beim Deutschen Buchpreis 2005. Daniel Kehlmann erhält im Juni 2006 den Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung, der mit 15.000 € dotiert ist.

Die Leser sind offenbar von Kehlmanns kenntnisreicher und kurzweiliger Erzählweise begeistert, von den lebhaften Dialogen in nur indirekter Rede, ein „Gegenwartsroman, der in der Vergangenheit spielt“. Seine öffentlichen Lesungen zeigen einen kompetenten Autoren mit auch erstaunlichem, auch naturwissenschaftlichen Hintergrundwissen. Vermessungsingenieure -  allgemein Naturwissenschaftler -mögen in seinem Buch (es ist inzwischen sein sechstes Werk)  wohl auch irritiert erkennen, wie ihre großen historischen Vorbilder allzumenschlich geschildert werden. Dazu schreibt Kehlmann selbst: 

„Als ich zum erstenmal die Göttinger Sternwarte betrat, war ich mit meinem Roman Die Vermessung der Welt fast fertig. Eine meiner Hauptfiguren hatte hier gelebt und gearbeitet, und ich war überrascht, wie beklommen es mich machte, ihr auf einmal so nahe zu sein. In meinem Buch war der Mann, der diese Räume bewohnt hatte, zwar ein Genie, aber auch ein passionierter Bordellbesucher, ein desinteressierter Familienvater und ein Monstrum an schlechter Laune. Wäre er noch am Leben gewesen, so hätte keine ausgefeilte ästhetische Theorie mich schützen können - nicht vor einer Verleumdungsklage, nicht vor seinem Zorn.“ (aus Daniel Kehlmann: „Wo ist Carlos Montufar?“, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg, Oktober 2005).

In einem ausführlichen Pressegespräch (F.A.Z.  9. 2. 2006 S. 41) antwortet Kehlmann auf die Frage, wie er zu dem Thema Humboldt und Gauß gekommen sei, er habe bei einem Stipendium in Mexiko City entdeckt, wie sehr Alexander von Humboldt dort (nach 200 Jahren) unverändert präsent sei. Und … „dann habe ich immer mehr über Humboldt gelesen und zufällig herausgefunden, daß Gauß 1828 bei einem Wissenschaftlerkongreß in Berlin bei Humboldt gewohnt hat. Und plötzlich sah ich diese Szene: die beiden alten Männer, der eine, der überall war, der andere, der nirgends war; der eine, der immer Deutschland mit sich getragen hat, der andere, der wirkliche geistige Freiheit verkörpert, ohne je irgendwohin gegangen zu sein. Das war der Keim für den Roman.“ Das Buch ist auch ein Roman über unseren Nationalcharakter? „Ja, ich habe das ganz stark so empfunden. Eine satirische, spielerische Auseinandersetzung mit dem, was es heißt, deutsch zu sein….“ Der Roman sei aber auch eine Auseinandersetzung mit dem alternden Menschen.  Befragt zu seiner Aussage  „das zunehmende Chaos im Menschenleben sei das geheime Thema“ seines Schreibens, ja seines Lebens. Was hat es damit auf sich? -  antwortet Kehlmann: „Im Grunde das, worüber wir vorhin geredet haben: das Alter. Das Alter ist das zunehmende Chaos im Leben. Man sammelt mehr Dinge an, mehr Beziehungen, mehr offene Rechnungen – es wird alles immer komplizierter, und es wird immer schwerer zu vereinfachen …,“ sagt der nurmehr gerade 31-jährige Autor dieses bemerkenswerten Romans, auch aus der Welt der Vermessungsgeschichte.  Und wer liest den Roman? Kehlmann: „…erlebe ich, daß der Roman einen ganz erstaunlichen Anklang findet bei der Gruppe derer, die ein naturwissenschaftliches Studium absolviert haben, auch bei Ingenieuren, Vermessungstechnikern. Die haben offenbar das Gefühl, daß hier ihre Welt endlich einmal betrachtet und eingefangen wurde.“
Unbedingt lesenswert – und übrigens geschrieben in der bewährten klassischen Rechtschreibung (Vergl. unsere Mitt. Nr. 107) . - Siehe ergänzend auch Buchbesprechung von Martin Fettke aus Koblenz in zfv Zs. für Geodäsie, Geoinformation und Landmanagement, Heft 6/2005, S. 412 .

            Nachtrag: Eine ausführlichere Kommentierung siehe im soeben erschienenen Juni-Heft des VDV-Magazins,  Zs. des Verbandes Deutscher Vermessungsingenieure, S. 216/217: Harald Lucht "Die Vermessung der Welt –  Gedanken zu einem Bestseller". Darin werden u.a. auch die Motive Kehlmanns zu seinem Roman beleuchtet. Text siehe www.haraldlucht.eu in 2006