Lektüre in der zfv zur Vermessungsgeschichte

In der Zeitschrift für Vermessungswesen zfv 3/2017 (S. 187 – 196) lesen wir einen hochinteressanten Fachaufsatz über „Grenzvermessungen und -abmarkungen im Spätmittelalter …“. Dr. phil. Thomas Horst von der Universität der Bundeswehr in München berichtet am Beispiel einer illustrierten Handschrift von um 1400 von der schon damals besonderen Wertschätzung für die Landvermessung.

In jener Handschrift werden nicht nur die spätmittelalterliche Landvermessung und Abmarkung ausführlich erläutert, sondern auch mit mehr als 180 kolorierten Illustrationen untermalt. Sechs der Illustrationen sind in dem hier besprochenen Beitrag abgebildet.

Einleitend umreißt Thomas Horst die Leistungen mittelalterlicher  Landvermessung (ein umfassender Terminus, wie ihn auch Walter Seele noch bis in die Gegenwart gerne benutzte) mit besonderen Schwerpunkten auch in der international-südländischen Praxis der Grenzfestlegungen. Er führt die Leserschaft über die Stationen Sachsenspiegel (sich dabei u.a. auf unseren Eratosthenes-Preisträger Frank Reichert stützend), daran erinnernd, daß sich „der damalige Landvermesser noch ganz im christlich geprägten Weltbild einer biblisch verbürgten Ordnung bewegte“, verweisend auf das apokryphe Buch der Weisheit 11,20f: „Du aber hast alles nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet ….“ und bedenkend, nach der Interpretation des Heiligen Augustinus entspräche jene Trias der Triade „Regel, Gestalt und Ordnung“, übertragbar auch auf den Trinitätsgedanken im Sinne von Vater, Sohn und Heiliger Geist – eine herrliche Tour d’Horizont, gründend in der mittelalterlichen Landvermessung.

Jene didaktisch einzigartige 300 Seiten umfassende Abhandlung über die Landvermessung, das „Manuskript Carpentras“, wurde zu Beginn des 15. Jahrhunderts in Arles an der Cote d’Azur von Bertrand Boysset verfasst, mit 183 kolorierten Illustrationen in provenzalischer Sprache. „Es handelt sich um die erste umfangreiche mittelalterliche Sammlung empirischer Anleitungen, die sich im Detail mit der damaligen Vorgehensweise für die unterschiedlichsten Situationen bei der Landvermessung auseinandersetzen. Das Werk ist dem König von Neapel, Robert von Anjou …1309-1343 …gewidmet“, schreibt Thomas Horst und schildert die Geschichte des lange in Vergessenheit geratenen Werkes und die sich um seine Wiederentdeckungen rankenden Forschungen.

Das vom  „Praktiker Bertrand“  erstellte „Manuskript Carprentas“ umreißt inhaltlich die vermessungstechnischen, geometrischen und arithmetischen Grundlagen damaliger Landvermessung und der Grenzabmarkung im provenzalischen Recht. Die ausführlichen Beschreibungen von Thomas Horst kürzen wir hier ab, indem wir die in hervorragender Bildqualität in der zfv abgedruckten farbigen Abbildungen kurz erläutern – in den Abbildungen werden die Sachverhalte wunderbar deutlich: Jesus überreicht dem betenden Landvermesser die Messlatte. Grenzsteinsetzung mit deutlich erkennbarem Grenzstein über einem Erdloch, einem Landvermesser und wohl zwei Nachbarn mit zustimmenden Handbewegungen und zwei Knaben mit Ministeinen als Sicherungsvermarkung. Vilanova erteilt 15 Schülern Unterricht in der Landvermessung, hält einen Grenzstein und eine Messlatte in den Händen und sagt in der Übersetzung der Sprechblase, „die Wissenschaften der Landvermessung als auch die der Grenzabmarkung sind wahrlich sehr nobel“. Vermessungsarbeiten im Felde, Abmarkung, mit einem Lot oberhalb der Messlatte, hier verraten die Sprechblasen: „Das sind sehr scharfsinnige Wissenschaften wie das zivile Recht, das kanonische Recht und die heilige Theologie. Aber noch viel subtiler ist die Wissenschaft der Landvermessung und Grenzabmarkung. Denn diese erfordert einen sehr guten Kopf und große Geschicklichkeit. Und für die Ausübung gute natürliche Sinne.“ –  Und in den weiteren Kapiteln des Werkes werden neben zahlreichen Spezialfragen vermessungstechnische Grundlagen erläutert, so etwa die Besitzteilung mit Hilfe von Winkeln, das Messen mit dem Mess-Seil, aber auch anspruchsvollere Vermessungen von Grundbesitz – bis hin zur Parzellarvermessung in einem Obstgarten.

Mit dem hier besprochenen Aufsatz wird der Fachwelt ein historisches Dokument ersten Ranges eindrucksvoll vorgestellt und neu in Erinnerung gerufen. Die Illustrationen erläutern nicht nur die vermessungstechnischen Verfahren, sie visualisieren – so hebt der Autor hervor – „auf beeindruckende Weise die Vermessung des geographischen Raumes, indem sie sie mittelalterliche Landschaft samt Bäumen, Feldern, Häusern und Arbeitsgeräten, aber auch die handelnden Personen mit ihren unterschiedlichen Gewändern, Mützen und Schnabelschuhen darstellen, weshalb sie als optimale, bislang noch nicht ausgewertete Quellen für die Kulturgeschichte herangezogen werden können.“ – In seinem Fazit berichtet Thoma Horst u.a., wie schon 1953 der Technikhistoriker Franz Maria Feldhaus In der Vermessungstechnischen Rundschau VR (frühere Vorgängerin der Zs. Flächenmanagement und Bodenordnung - fub) schrieb: „Die große Gruppe technischer Handschriften, zumal Bilderhandschriften, ist für das Vermessungswesen noch nicht erschlossen.“ Und der damalige Schriftleiter der VR, Dr.-Ing. Heinz Wittke, regte einst bereits an, sie durch Dissertationen und wissenschaftliche Arbeiten zu erschließen.

Es ist dem Redaktionsteam der zfv zu danken, diesem Beitrag von Thomas Horst so breiten Raum gewidmet zu haben. Er ist mit seinen zusätzlich ca. 90 Literaturstellen ein besonderes Zeugnis vertiefter internationaler vermessungshistorischer wissenschaftlicher Forschungen. Der Aufsatz steht im Internet unter zfv_2017_3_Horst.pdf  zur Verfügung – eine vermessungshistorisch außerordentlich reizvolle Lektüre in der zfv.